Denk mal! Im Februar 2003...

Und zum Abendmahl zu McDonald's

Eine Liste mit den zehn Markenfirmen, die unter 45 444 Jugendlichen und Erwachsenen aus 19 Ländern am bekanntesten sind, hat Young & Rubicam, eine der größten Werbeagenturen der Welt, veröffentlicht. Das berichtet die Londoner Financial Times. Es handelt sich um

Coca-Cola, Disney, Nike, BMW, Porsche, Mercedes Benz, Adidas, Rolls-Royce, Calvin Klein und Rolex. Die Marken sind die neue Religion. Auf der Suche nach einem Sinn wenden sich die Menschen ihnen zu, so sagt ein Manager von Young & Rubicam. "Ihnen wohnt so viel Leidenschaft und Dynamik inne, dass sie die Welt verändern und die Menschen in ihrem Sinn bekehren können", erklärte er weiter. Fitch, ein Designerbüro aus London, sprach letztes Jahr diesen Marken sogar "göttlichen" Charakter zu und wies darauf hin, dass die Menschen am Sonntag lieber zum Shopping als in die Kirche gehen. Zwei Beispiele führt Fitch an, um die These zu stützen: Seit 1991 feierten rund 12000 Leute ihre Hochzeit in den Disney-Parks, und: In Mode kommen Särge der Marke Harley für verunglückte Harley-Davidson-Fahrer.

Bereits Karl Marx wies auf den Fetisch Ware hin. Die noch in ihren Kinderschuhen steckende industrielle Revolution entdeckte schon früh im 19. Jahrhundert, dass die Menschen bei weitem nicht nur das Nötigste wünschen. Wenn sie über Kaufkraft verfügen, lieben sie es, den Überfluss zur Schau zu tragen. Die Werbung bewirkte, dass der Überfluss sich als Notwendiges durchsetzte. Die Ware, die in der Beziehung zwischen den Menschen eine Mittelstellung "Mensch-Ware-Mensch" innehat, besetzte im Lauf der Zeit die Außenposititonen  "Ware-Mensch-Ware". Wenn ich zum Haus eines Freundes im Bus fahre, ist mein "Wen" niedriger, als wenn ich im BMW käme. Das Gleiche gilt für das Hemd, das ich trage oder für die Uhr an meinem Handgelenk. Nicht ich, der Mensch, bin es, der das Objekt benutzt. Es ist die Ware, als Fetisch verbrämt, die meinen Wert festschreibt und meinen Kurs auf dem Markt der sozialen Beziehungen erhöht. Das würde einen neoliberalen Déscartes zum Ausruf veranlasst haben: "Ich konsumiere, also bin ich." Außerhalb des Marktes gibt es keine Erlösung (in der alten Kirche war einst die These vertreten worden, außerhalb der Kirche gebe es kein Heil), so mahnen die neuen Priester des Konsumgötzendienstes. Die religiöse Stilisierung, Vergottung des Marktes wird sichtbar in den neuen Einkaufszentren, die José Saramago in seinem Buch "A Caverna" so treffend kritisiert. Die Glitzer-Shopping-Zentren besitzen fast alle architektonischen Accessoirs unserer alten Kathedralen.

Sie sind die Kirchen des Gottes Markt. Man betritt sie – zumindest in den Metropolen Brasiliens und sonst wo in der "Dritten Welt" – nicht irgendwie angezogen, sondern so gut angezogen, so wie man sonntags in die Messe geht. Man durchschreitet die marmornen Innenhöfe zum Klang postmoderner gregorianisch getönter Gesänge; dieser Musik, bei der man auf den Zahnarzt wartet.

Im Innern erinnert so ziemlich alles an das Paradies: Es gibt keine Bettler oder Straßendiebe, keine Straßenkinder, keine Armut oder Not. Mit andächtigem Blick betrachtet der Konsument die Kapellen, die in reich geschmückten Nischen die verehrten Konsumgegenstän-de zeigen – anmutig begleitet von schönen Priesterinnen. Wer sofort bezahlen kann, fühlt sich wie im Himmel. Wer mit Scheck oder Kre-ditkarte bezahlt, fühlt sich wie in der Hölle. Am Ausgang jedoch ver-brüdern sich alle beim Abendmahl von McDonald's.

Young & Rubicam vergleicht die Werbeagenturen mit jenen Missionaren, die in der Welt Religionen wie das Christentum oder den Islam verbreitet haben. " Die Religionen stützten sich auf mächtige Ideale, die dem Leben Sinn und Ziel gaben", sagt der Manager der englischen Agentur.

Der Glaube gibt dem Leben einen subjektiven Sinn, der in der Praxis der Liebe objektiviert wird. Eine Ware schafft jedoch nur die Illusion, dass wir durch sie in den Augen Fremder mehr wert sind. Das Leben für den Konsum beweist ein schwaches Selbstwertgefühl. Ein heiliger Franziskus von Assisi oder ein Mahatma Gandhi brauchten keine In-Waren, keine Markenjeans, um sich auf sich selbst zu besinnen und sich auf die anderen und auf Gott zu konzentrieren.

Die Sünde dieser neuen "Religion" besteht darin, dass sie im Gegen-satz zu den traditionellen Weltreligionen nicht altruistisch ist, sondern egoistisch. Sie fördert nicht die Solidarität, sondern den Wettstreit. Sie macht aus dem Leben nicht eine Gabe, sondern einen Besitz. Und was noch schlimmer ist: Sie verspricht das Paradies auf Erden und schickt den Verbraucher in die Ewigkeit, ohne dass er irgend etwas von den Gütern mitnehmen kann, die er auf dieser Seite des Lebens angehäuft hat. Der Religion des Konsums entkommt niemand. Nicht einmal der "Konsum der Religion", wenn sie verhunzt und verkürzt dargeboten wird als ein wundersames Heilmittel, das Schmerzen und Ängste erleichtern, Wohlstand und Freude garantieren kann.

Der Autor: Frei Betto ist Dominikaner und Theologe in Brasilien (aus Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Oberursel, Ausgabe 4/02)

Übernommen aus Brot zum Leben Arbeitsheft 44. Aktion 2002/2003