Denk mal! Im September 2017...

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ Galater 5 ,1 a. Wie frei sind wir? Der Umfang unserer Freiheiten als Bürgerinnen und Bürger einer weitgehend funktionierenden Demokratie wird einem deutlich, wenn man vergleicht: Trotz aller „Ostalgie“, die das Leben in der DDR verklärt, will wohl keiner den Todesstreifen an der Grenze oder die Stasi zurück haben. Und welcher deutsche Mitarbeiter einer in China operierenden Firma würde freiwillig seine Staatsbürgerschaft gegen die chinesische eintauschen?

Sind das rein politische Themen, die mit Glauben nichts zu tun haben? Nein. Der Blick auf das Zeitalter der Reformation offenbart, wie sehr die Entwicklung der bürgerlichen Freiheiten mit der Idee einer inneren Freiheit verknüpft ist, die in einer konkreten religiösen Überzeugung wurzelt. Es ist die Erkenntnis, die Martin Luther bewegt hat: Gott will uns als aufrechte und im Gewissen nur an sein Gebot gebundene Menschen. Gott will uns frei und gleich. 

Luther findet dabei einen Gewährsmann im Apostel Paulus.  „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“, so übersetzt Luther dessen Satz in Galater 5, 1 a. Luther wie Paulus geht es darum, dass Angst und Zwang nicht die beherrschenden Vorzeichen menschlichen Daseins sind. Was einzig zählt ist, dass Gottes Liebe in Christus lebendig geworden ist und uns als Geschenk angeboten wird. Wer das für sich annimmt, wird frei: frei von der Angst, nicht genügen zu können, frei in der Entscheidung des eigenen Gewissens; frei zur Verantwortung und sogar frei dazu, Fehler zu machen.

Trotzdem war mit Luther und der Reformation nicht sofort auf einen Schlag das freie Subjekt geboren, das man sich beispielsweise in der europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 vorstellt. Statt des Klerus‘ hatten im 16. Jahrhundert die Fürsten das Sagen und die Bauern das Nachsehen. Christlich legitimierte Sklaverei gab es offiziell bis 1865. Noch länger dauerte es, bis Frauen in den Evangelischen Kirchen voll gleichberechtigt waren! Aber dennoch: die Idee war in der Welt und wirkte weiter.

Wie frei sind wir heute? Mich beschäftigt es sehr, wenn ich jemanden den Satz sagen höre: „Was kann ich schon dagegen machen?“ Das kommt nicht selten vor. Ein Gefühl der Ohnmacht drückt sich darin aus. Und es stimmt ja, es gibt gewaltige Probleme zu lösen. Der Klimawandel, die ungerechte Verteilung von Wohlstand, Kriege und neue Machtspiele zwischen Staaten sind große Herausforderungen. Dazu noch die eigenen beruflichen oder privaten Tretmühlen, die jeder kennt.

Viele Freiheiten – und doch gefangen. Ist das unsere Situation? Es lohnt sich, an dieser Stelle noch einmal auf Paulus zu hören. Er schrieb damals weiter: „So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ (Galater 5 ,1 b). Freiheit will behauptet sein. Sie ist ein Standpunkt, den wir mit Gottes Hilfe einnehmen sollen und können. Wir sind gerufen, vorhandene Spielräume wahrzunehmen und nutzen, und seien sie noch so bescheiden. Das Leben des Paulus war nicht leichter als das unsere, im Gegenteil, es hing mehrmals am seidenen Faden. Trotzdem war Paulus zuversichtlich und das nicht nur für sich selbst: „Ich habe das Vertrauen zu euch in dem Herrn, ihr werdet nicht anders gesinnt sein.“ (Galater 5, 10 a). 

Da glaubt einer an die Kraft der von Gott verliehenen Freiheit, für sich und für uns mit.
Ist das nicht großartig? Danke, Paulus!
Herzlich grüßt
Ihre Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul